Der Zins und seine Funktion im freien Markt

Geld unterliegt, wie alle anderen knappen* Güter auch, dem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Wer ein Unternehmen auf- oder ausbauen will, benötigt jetzt Geld, mit dem er diverse Anschaffungen tätigt, zusätzliche Arbeitskraft bezahlt oder sonstige Maßnahmen finanziert, die dazu führen sollen, dass die Unternehmung in Zukunft Gewinn erwirtschaftet. Seine Nachfrage nach Geld ist also hoch.

Wo bekommt jemand, der erhöhte Nachfrage nach Geld hat, dieses Geld her? Von anderen Menschen, deren Nachfrage nach Geld aktuell niedrig ist und die deshalb dazu neigen, dasjenige Geld, das sie nicht für den regelmäßig nötigen Konsum brauchen, zu sparen. Diese Sparer fungieren auf dem Markt als Anbieter von Geld – eben jenem Geld, das sie derzeit selbst nicht benötigen und also erübrigen können.

Die meisten Anbieter von Geld sind bereit ihr Geld unter zwei Bedingungen zu verleihen:

  1. möchten sie sich ihren aktuellen Konsumverzicht vergüten lassen (auch, um in der Zukunft mehr Geld für dann in ihren Augen vielleicht sinnvolleren Konsum zu Verfügung zu haben),
  2. wollen sie für das Risiko entschädigt werden, das durch das Verleihen ihres Geldes an andere grundsätzlich gegeben ist – und zwar umso höher, je größer das Risiko ist.

Das Resultat dieser beiden Verleihbedingungen ist der Marktpreis des Geldes, der Zins.

Welche Höhe hat dieser Zins, wie bestimmt sich der „Preis des Geldes“? Ganz genau so, wie alle anderen Marktpreise auch: durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Ist das Angebot an Geld hoch und die Nachfrage nach Geld niedrig, wird der Zins in Richtung Null tendieren. Ist umgekehrt das Angebot an Geld niedrig und die Nachfrage hoch, steigt entsprechend auch der zu zahlende bzw. zu erzielende Zins, unter Umständen ganz immens.

Das Wichtige an der Höhe des Zinssatzes ist aber seine Signalwirkung, die weit über die unmittelbaren Belange des Einzelnen – ob des Anbieters oder des Nachfragers – hinausgeht und wesentliche Folgen für die gesamte Wirtschaft hat.

Denn: Niedrige Zinsen (=hohes Angebot an Spargeld) signalisieren dem Markt und vor allem den Unternehmern darin folgendes: „Wir, die Konsumenten, sind satt; wir wollen zurzeit weniger konsumieren, weil wir von demjenigen, was es gibt, genügend haben. Also, liebe Unternehmer: Macht was Neues, Besseres, Anderes!“ – Da trifft es sich blendend, dass Geld für Investitionen eben aufgrund des hohen Angebotes an Spargeld gerade billig zu haben ist: genau der richtige Zeitpunkt für Investitionen, Innovationen, Neugründungen.

Ist der Zins hingegen hoch (=niedriges Angebot an Spargeld), ist das Signal das gegenteilige: „Liebe Unternehmer, haltet die Füße still, wir sind noch lange nicht damit fertig, die Dinge zu konsumieren, die ihr dem Markt aktuell zu Verfügung stellt; die finden wir total geil und wir wollen mehr vom selben.“ – Da dieser Konsumentenwille sich gleichzeitig im hohen Zins ausdrückt, werden Unternehmer zögern, gerade jetzt zu investieren. Und sie tun gut daran.

Nota bene:

Diese Zusammenhänge gelten für einen freien Geldmarkt, in dem es keine staatlichen Eingriffe in den Marktzins (und auch keine in die Geldmenge)  gibt. Gleichzeitig zeigt das Dargestellte, warum diese staatlichen Eingriffe in die Preisbildung gerade beim Zins im Grunde die fatalsten und schädlichsten Eingriffe in Preisbildungen sind, die der Staat vornimmt: der komplette wirtschaftliche Organismus wird dadurch gestört, weil die Signale nicht mehr funktionieren. Boom-and-bust-Zyklen sind die Folge ebenso wie sie in technologischem Stillstand, Unter- oder völliger Überversorgung (kurz: systematische Fehlallokation von Ressourcen), vermehrten Unternehmespleiten usw. bestehen können.

P.S.: Ergänzung zum Thema Zinskritik von Ralf Karnowsky (danke Ralf!):

Nicht zu bestreiten ist der Wahrheitsgehalt der mathematischen Expotenzialgleichungen, mit der Zinskritiker immer wieder die von ihnen vertretenen Thesen untermauern. Doch sie übersehen dabei einen wesentlichen Aspekt: Die Empfänger der Zinszahlungen bestehen über die Zeitschiene hinweg nicht aus denselben Personen. Durch die ’soziale Mobilität‘, die der Kapitalismus durch die Aufhebung der feudalistischen Ständeordnung in Gang setzte, werden aus ‚Habenichtsen‘ Vermögende und umgekehrt – dies ist anhand von hunderttausenden Biographien belegbar. Das bedeutet, dass sowohl die Zinsen als auch der dazugehörige Kapitalstock immerfort in die Hände anderer Individuen gelangt. So besteht zwar immer eine Schicht von ‚Reichen‘ (dies ist sowohl Voraussetzung als auch Wirkung der Funktion des kapitalistischen Systems) -, diese setzt sich aber fortwährend aus anderen Personen zusammen. Die „Konzentration von Kapital in immer weniger Händen“ erfolgt nur, wenn die soziale Mobilität ausgehebelt wird, indem der Staat Firmenpleiten verhindert oder Besitzer von Staatsanleihen südeuropäische Länder auf Kosten der Steuerzahler rettet.

*Knappheit im ökonomischen Sinn meint nicht (nur) die Endlichkeit eines Gutes, sondern in erster Linie den Umstand, dass ein und dasselbe Gut von mehreren Menschen zur selben Zeit nachgefragt wird. ( -> zurück zur Texstelle)