Nachklapp zu Jebsen & friends

Um mich völlig verständlich zu machen: Es genügt für Anthroposophen auch nicht, die Jebsens, Gansers, Elsässers, Popps und wie sie alle heißen, einfach im Namen des „freien Geisteslebens“ zu ignorieren – grundsätzlich nicht, aber erst recht nicht, wenn sie chez nous als Wanderprediger der Wahrheit gefeiert werden.

Und dabei geht es nur nachrangig darum, dass diese gesuchte Nähe der Anthroposophie und der Waldorfbewegung immensen Schaden zufügt. In erster Linie geht es um etwas eigentlich Selbstverständliches: um Integrität, um Glaubwürdigkeit und um ein Bewusstsein des Umstandes, was diese Herren mit ihrer perfiden Strategie für ein Desaster – zuerst in den Köpfen und dann, folgend, in der praktischen demokratischen Politik – anrichten.

 

„Israel ist in hohem Masse ein Unrechtsstaat und hat viel von den Deutschen von damals, als sie dran waren, gelernt …“

Das hat gerade ein Mitglied der Facebook-Gruppe „Virtuelle Anthroposophische Gesellschaft“ geschrieben. So lange „in unseren Zusammenhängen“ überzeugt vorgetragene Ansichten wie diese fröhliche Urstände feiern, weil man sich in anthroposophischen Binnendebatten vor dem vernichtenden Urteil der Außenwelt sicher glaubt, macht sich jeder Anthroposoph, der sich nicht klar und deutlich gegen diesen aggressiven Wahn ausspricht, zum Gehilfen der Bauernfänger und zum Anhänger des Ressentiments.

Ich habe langsam gute Lust, diesen ganzen säuselnd vorgetragenen aggressiven Schwachsinn zu sammeln und einem Vertreter der „Lügenpresse“ zu überantworten.

Ein Wort zu Ken Jebsen

„Immer wenn ich auf Youtube aus Versehen
ein Video von Ken Jebsen anklicke,
will ich auf der Stelle Zionist werden.

– Christian Ulmen

 

Ken Jebsen bedient mit seinen perfiden Nahelegungen, haltlosen Andeutungen und raunenden Fragen sowohl in Deutschland als auch insbesondere in der „alternativen Szene“ ohnehin schon in Besorgnis erregendem Ausmaß bestehende Ressentiments: gegen Israel, gegen die USA, gegen die Westbindung Europas, gegen „das Kapital“, gegen einen nicht fehlerfreien, aber seriösen Journalismus (Stichwort „Lügenpresse“).

Er agitiert tief eingebunden in ein Netzwerk aus sattsam bekannten Verschwörungsideologen, die sich ausschließlich wechselseitig und reihum durch Querverweise selbst adeln und bestätigen. Sein möchtegern aufklärerischer Duktus kontrastiert mit dem Irrwitz der vermittelten Inhalte aufs Abenteuerlichste.

Man könnte herzlich über diesen Unsinn lachen, wenn einem nicht immer wieder ausgerechnet Menschen aus der anthroposophischen Szene und der Waldorfbewegung zeigen würden, wie unfassbar anfällig sogar erwachsene, denkfähige Menschen für Propaganda, Lügen, Insinuationen und schlichten Stuss sind. Dass und warum man „chez nous“ auf diese Neigung zu Verschwörungsmythen aller Art, zu neurechten Ideologemen und zur Querfront-Bewegung dieser Tage trifft, hat unser Autorenkollege Ansgar Martins in diesem luziden Artikel auf seinem Blog dargelegt.

In jüngster Zeit wurde Ken Jebsen, der tragischerweise selbst ehemaliger Waldorfschüler ist, mehrfach zu Vorträgen oder Projekttagen an deutschen Waldorfschulen eingeladen. Man weiß nicht so recht, ob von Oberstufenschülern, Eltern oder einzelnen Lehrern. Die Schulen haben bislang ausnahmslos gut und richtig – wenn auch erst auf den letzten Drücker – reagiert, Jebsen wieder ausgeladen und entsprechende Distanzierungen veröffentlicht.

Das ist vollkommen richtig, denn auch Waldorflehrer haben – wie Lehrer überhaupt – u.a. die Aufgabe, ihre Schüler zu schützen und ihnen erst Urteilsfähigkeit zu vermitteln, indem sie ihnen das nötige Rüstzeug mitgeben, das es erlaubt, Wahn von Wirklichkeit, Nahelegung von Hypothese, Propaganda von Meinungsäußerung und facts von fiction zu unterscheiden. Phänomene wie Ken Jebsen stellen Lehrer hier vor neue Herausforderungen.

Und – nein! –, es ist nicht im Dienst von Vielfalt, Ausgewogenheit, Demokratie und freier Meinungsäußerung jeder noch so absurden Meinung ein Forum zu bieten – erst recht nicht vor unvorbereiteten Schülern. Das kann man allenfalls im Rahmen eines „Gegen Menschenfänger“-Projektes machen, in dem man Schüler zuvor gut vorbereitet und ihnen dann Jebsen oder einen der anderen „Wahrheitsritter“ gegenübersetzt. Vielleicht wäre das sogar ein heilsamer Ansatz.

Wenn der Zeitaufwand, der betrieben wird, um Jebsen & friends zu lauschen und ihren ausgelegten Fährten in trübe Gewässer zu folgen, darauf verwendet würde, sich tatsächlich und aus seriösen Quellen zu informieren, wäre in jedem Fall schon viel gewonnen.