„Verschwörungsideologien sind festgeschraubte Denkplaketten der Angst“

Unser Gastautor Paul Klingenberg über den Umgang mit Verschwörungsideologen. Das Spannende: Er war einst selbst einer.

 

Ich bin zwar noch nicht lange in der VAG („Virtuelle anthroposophische Gesellschaft“, eine Facebook-Gruppe – F.H.), aber dennoch in einem zwielichtigen Sinne ein Eingeweihter (auf unterer Stufe 😉 ), was die unheilvollen Verstrickungen zwischen Anthroposophie und Verschwörungsgespinsten betrifft. Die Werke und das Erwirkte Rudolf Steiners, das was er artikuliert und transportiert hat, sind mir meist im Leben begegnet . . . und die Person Rudolf Steiner immer als jemand, dem ich vertrauen kann, bei dem ich zwar innerlich wache Kritik in Bezug auf das Gesagte im Speziellen pflegte, bei dem ich aber nie die misstrauische Abneigung in Bezug auf die Gedankenwelt als Gesamtes empfand, wie es bei Verschwörungstheorien der Fall ist.

Was Verschwörungstheorien anbelangt, kann ich – insoweit der Vergleich statthaft ist, um ein Bild zu haben – darüber sprechen, wie ein clean gewordener Junkie. Ich war einmal sehr verzweifelt, verstand die Welt nicht mehr, war orientierungslos und wusste nicht wohin. Da dockte ich an dem großen undurchsichtigen Virenkonglomerat der Verschwörungstheorien an. Es fing an mit dem Film „Zeitgeist“, der damals in meinem Freundeskreis durch die Runde ging und vermutlich – im Tandemtritt mit dem anderen Einsteigerfilm „Loose Change“ – wohl 30-40% der Hirne meiner Generation darauf vorbereitete, eine lebensfeindliche, ins Wahnhafte und Paranoide hineinreichende, erkaltete Gedankenwelt in sich einzulassen und Wurzeln schlagen zu lassen.

 

Erklärungsnährboden einer ganzen Generation

Ich war elf Jahre alt, als die Twintowers zusammenkrachten. Zwei Jahre später, da war ich dreizehn, verfolgte ich die Fernsehbilder mit, wie amerikanische Soldaten die Husseinstatue in Bagdad umstürzten. Ich ging in eine bilingual geführte Schule mit internationalem Background, in meiner Klasse waren drei Kinder mit amerikanischen Eltern, von denen zwei den Krieg befürworteten. Der Vater eines anderen Klassenkameraden war Iraker. Er gab sich meist von der coolen Seite, war scheinbar abgebrüht. Als wir aber über das zu sprechen begannen, was uns beschäftigte und was wir aus den Medien aufschnappten; – bzw, was wir den Eltern nachplapperten – brach er bitterlichst in Tränen aus. Seine Familie bangte um das Leben seines Onkels. Es war dieses Erlebnis, das mich innerlich traurig darüber stimmte, dass dieser Krieg geschah, und es entfachte eine Empörung, die nichts mit der verbreiteten und letztendlich farblosen Denkschablone „Krieg ist scheiße“ zu tun hatte.

Zu dieser Zeit behandelten wir im Geschichtsunterricht die beiden Weltkriege. Ich wusste zwar, dass da „was Schlimmes“ passiert sei und dass das gar nicht so lange her ist, aber zum ersten Mal hörte ich bewusst von den Materialschlachten, den Grabenkämpfen, von Antisemitismus, dem Holocaust.

All das waren erstmal Erschütterungen und noch keine Schwellenerlebnisse. Verborgen zwar, meist auch von mir selbst unbemerkt – und ich denke für viele andere auch -, schwelte das Bedürfnis nach einer Erklärung, nach einem „deshalb ist das so und so“, was einem das Ungeheuerliche irgendwie begreiflich macht …

Ein Jahr später machte „Loose Change“ die Runde, wo es hieß, dass es die Amerikaner selbst gewesen sein sollen, welche die Türme gesprengt (!) hätten. Die Doku war schlecht gemacht, wirkte aber durch die stakkatoartige Berichterstattung (schnelle Bildwechsel; unruhiges, hastiges, sich selbst überschlagendes Sprechen, ähnlich wie bei Jebsen) überzeugend.
Gleichzeitig wurde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur besten Sendezeit der Michael Moore Film „Fahrenheit 9/11“ ausgestrahlt, den ich im „Kreise der Familie“ (wie sich das bürgerliche Scheinidyll vor dem Fernseher gerne nennt) ansah.

Ich könnte noch längere Ausführungen machen, aber mir geht es darum, dass in dieser Zeit ein Nährboden geschaffen wurde, für alle diejenigen, die dann, zehn bis 20 Jahre später, als vom Neoliberalismus Unzufriedene und Verhinderte, nach Strohhalmen greifen würden!

Viele von den Leuten, die mit „Loose Change“ und Michael Moore etc. aufgewachsen sind, hören heute noch Xavier Naidoo (und viele andere Rapper), sie sympathisieren aber nicht nur mit seiner Musik, sondern auch mit seinen Ansichten, und ich denke, dass der Verschwörungskarren gerade erst richtig in Fahrt kommt, da seit der Jahrtausendwende systematisch viele Schlaglöcher eingeebnet, Gräben offensichtlicher Widersprüche künstlich überbrückt, Pfade des freien Denkens zu Vorstellungsautobahnen planiert worden sind.

 

Wenn jemand „9/11“ sagt, sagt er meist auch „Fed“ und „Rotschild“

Mir fallen da gerade zwei Parolen ein, die – auch wenn Parolen immer plakativ sind – gut passen. Es geht um ein „Wehret den Anfängen“ und ein „Keine Macht den Verschwörungsideologen“, ähnlich wie es heißt: „Keine Macht den Nazis“.

Ich bin mittlerweile einige Diskussionen mit Leuten, die von Verschwörungstheoritis befallen sind, durch. Sie sind zwar irgendwie auch und ein klein wenig zu bedauern, aber davon nur das Menschliche in Ihnen. In Wahrheit handelt es sich um eine schwerwiegende Besetzung, der kaum beizukommen ist. Mit den Dämonen, die diese Leute besetzen, kann man nicht vernünftig argumentieren, kann man nicht sprechen, es fehlt an Herzenswärme.

Der Vorwurf, die konsequente und ablehnende Haltung gegenüber Verschwörungsideologen sei diktatorisch, faschistoid und ein Denkverbot, ist nicht statthaft. Es ist so: Man bekommt irgendwann einen Riecher dafür, wo etwas faul ist. Wenn jemand „9/11“ sagt, sagt er meist auch „Fed“ und „Rotschild“. Ist das nun eine Pauschalverurteilung? Ja, sie trifft aber in 95% der Fälle zu.

Da ich selbst befallen war, weiß ich wovon ich spreche. Ganz tief und insgeheim denkt man, dass der andere, wenn er nicht der Ansicht ist, dass alles von der neuen Weltordnung gesteuert sei, dass die uns mit Chemtrails besprühen usw., dass der andere dann auch einer von den bösen – und da haben wir wieder das Wort – Widersachermächten ist.

Verschwörungsideologien sind festgeschraubte Denkplaketten der Angst, welche die Loslösung von süßlich-beißenden Ressentiments (wie Sandelholz), effektiv verhindert. Bei mir ging das soweit, dass ich mich, als ich mich in London aufhielt, von den Kameras des CCTV verfolgt fühlte, aber gezielt. Ich erblickte sogar eine in einem Baum versteckte Kamera am Flussufer der Themse; – die Kamera gab es wirklich, das Überwachungssystem auch, aber die ominösen Bösen hinter der Kamera, die ich in paranoid-depressiver Permaangst wähnte, die gab es freilich nicht. Klar, die Welt ist schräg, aber daran sind nicht die Illuminaten schuld!

Ich bin froh, dass ich über Letzteres Gewissheit habe und dass ich diese auch immer selbstbewusster zu verteidigen weiß. Manche Verschörungstheoretiker muss man einfach abwimmeln wie lästige Immobilienmakler, da hilft kein gutes Zureden, da hilft kein Zuhören, denn es gibt da nichts Dialogisches im Sinne Martin Bubers. Da gibt es eigentlich nur: „Wenn Du nicht meiner Überzeugung bist, gehörst Du zu den Bösen.“ Verschwörungstheorien sind Informationen, die sich wie Viren übertragen und als Engramm das Bewusstsein belegen. Sie sind nicht nur menschenfeindlich im Sinne des aggressiven Gerichtetseins gegen alles, was sich unter dem Begriff des „Anderen“ subsumieren lässt, sondern sie zerrütten auch den eigenen Seelenfrieden. In diesem Sinne bringen sie Unheil.

Ein Wahrwort – es stammt nicht von Steiner, sondern von einem nicht gar so wagemutigen Zeitgenossen, nämlich von Karl Popper – begleitet mich schon lange: „Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.“
Daher kann ich in Bezug auf eine konsequent ablehnende Haltung gegenüber menschenfeindlichen Verschwörungsideologien nur sagen: Hut ab und weiter so!

 

Der Autor, Paul Klingenberg, geb. 1991, lebt in Graz und studiert Philosophie. Sein Bezug zur Anthroposophie, sagt er, war immer das Leben und dieser Bezug ist in letzter Zeit immer egoistischer geworden.