Ein Wort zu Schuld und Verantwortung in Bezug auf Syrien

Im Frühjahr 2011, als Assad begann die Leute von der Straße schießen zu lassen, war der Konflikt mit Russland noch Zukunft. Das ganze Jahr 2011 über waren die Fronten völlig klar: vom IS noch keine Spur und selbst Al Nusra steckte noch in den Kinderschuhen; sie trat erstmals 2012 in Erscheinung – und dann auch noch längst nicht umfassend organisiert.

Der Westen hatte volle acht Monate Zeit, in einer eindeutigen Lage Partei für diejenigen zu ergreifen, die das Assad-Regime offensichtlich ermordete und den Diktator daran zu hindern. Und es wäre auch lange darüber hinaus noch ziemlich einfach möglich gewesen, Flugverbotszonen einzurichten und die demokratische Opposition zu bewaffnen. First come, first serve: Russland hätte sich damit abfinden müssen.

Zu dem typischen Zögern der Europäer – und insbesondere Deutschlands – kam in diesem Fall tragischerweise auch das Zögern der USA, die den außenpolitisch unfähigsten Präsidenten ever an ihrer Spitze haben.

Dass Russland seinen Verbündeten Assad mit Waffen beliefert, ist allgemein bekannt. Es hat schlicht keinerlei Sinn darauf zu hoffen, dass sich die Kreml-Position ändert. Sie ändert sich nicht; das ist ein Faktum, mit dem der Westen umzugehen hat.

Natürlich ist der Westen nicht schuld an Assads Bomben und an seiner Unterstützung durch die Mullahs und den Kreml. Aber er ist insofern verantwortlich für das syrische Desaster und für die über zwölf Millionen Syrer, die innerhalb und außerhalb des Landes auf der Flucht sind, als es eine Unterlassungssünde ist, ihnen nicht geholfen zu haben, als es noch deutlich problemloser möglich war als jetzt, wo Putin das Ruder übernommen hat, um Assads Macht zu sichern und mit Atom-U-Booten als Abschreckung operiert.

Purer Zynismus ist es, wenn man diese Flüchtlinge nun nicht einmal aufnehmen will.

Ralph Boes: Williger Helfer der Kreml-Propaganda

Seit einigen Tagen zelebriert der Anti-HartzIV-Aktivist Ralph Boes in Berlin ein öffentliches Sanktionshungern. Zum Hintergrund siehe ganz unten, „Zur Vorgeschichte“.

Was mich an dem Theater inzwischen am meisten ärgert, ist diese grenzenlose Naivität (ich unterstelle keine Absicht), mit der Boes sich von der russischen Propaganda-Maschine instrumentalisieren lässt.

Mal angenommen, ich stimmte mit den Prämissen von Boes überein und würde mit meiner öffentlichen Aktion auf die Missstände des Sozialsystems in Deutschland hinweisen wollen: Ich würde Reporter von Russia Today, die über meinen Fall berichten, entweder rausschmeißen oder ihnen vor laufender Kamera ihren überhaupt nicht vorhandenen russischen Sozialstaat um die Ohren hauen, in dem Menschen tatsächlich verhungern, weil es kein sie auffangendes System gibt.

Die Führung eines zunehmend totalitären Staates, der seinen eigenen Bürgern jegliche soziale Sicherheit verwehrt, lässt den deutschen Ableger seines Propaganda-Mediums einen deutschen Aktivisten interviewen, der vergleichsweise alberne Missstände im deutschen Sozialsystem kritisiert. Und Herr Boes macht bei dieser Schweinenummer begeistert mit.

Widerlich.

 

Zur Vorgeschichte:

Ralph Boes und andere gehen davon aus, dass HartzIV in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig ist – vor allem, weil es ihrer Ansicht nach gegen Art. 1 Grundgesetz verstößt (Würde des Menschen). Insbesondere die Sanktionierung – also das Knüpfen der finanziellen Hilfe an (als willkürlich erlebte) Bedingungen und die Streichung der Mittel bei Weigerung bzw. Zuwiderhandlung – wird als illegitim und entwürdigend betrachtet.

Da alle zuständigen Gerichte aber nur innerhalb der HartzIV-Gesetzgebung urteilen, kann man auf normalem Weg nie das ganze System in Frage stellen. Deshalb hat Boes sich so lange Sanktionen eingehandelt, bis er überhaupt kein Geld mehr bekommen hat (er lebt von freiwilligen Spenden), will so darauf aufmerksam machen, dass er nun eigentlich Hungers stürbe und dass genau das doch unwürdig und unmenschlich sei.

Man kann durchaus darüber streiten, ob die Initiative nicht vor dem Hintergrund des Grundgesetzes in der Tat prinzipiell Recht hat – und auch darüber, ob manch Bedingung bzw. Maßnahme in der Tat reine Beschäftigungstherapie ist (die manche Menschen allerdings brauchen).

Ich will aber auch nicht verschweigen, dass ich in diesem Fall dafür plädieren würde, die Debatte komplett offen zu führen; denn auch das Grundgesetz ist ja nur ein System und durchaus hinterfragbar.

Mir geht dieses m.E. völlig unreflektierte Anspruchsdenken der Boes-Initiative jedenfalls dermaßen auf den Senkel, dass mich eine solch tabulose Debatte tatsächlich reizen würde.

GUT und BÖSE – Ein Leitfaden für Orientierungslose und Verwirrte

Stichpunktartig und ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

GUT ist, wenn die USA in den Zweiten Weltkrieg eintreten, um einen Sieg Hitlers zu verhindern. Das ist selbst dann gut, wenn der Kriegseintritt durch eine Finte begründet worden wäre.

GUT ist, wenn die USA in Afghanistan einmarschieren und das mordende Taliban-Regime absetzen.

GUT ist, wenn die „Koalition der Willigen“ in den Irak einmarschiert und das mordende Baath-Regime absetzt. Das ist selbst dann gut, wenn dafür ein Grund von minderem Rang angeführt wird, um ein UNO-Mandat zu bekommen.

GUT ist, wenn die NATO die serbischen Streitkräfte am Völkermord im Kosovo hindert.

GUT ist, wenn die ehemaligen Ostblock-Staaten eine Westanbindung anstreben.

GUT ist, wenn die USA/die EU eine Westanbindung der Ukraine fördern.

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NICHT GUT ist, wenn man gegenüber deutlichen Anzeichen aggressiver „Außenpolitik“ eines Staates keine Maßnahmen ergreift (Deutschlands Nachbarn in den Dreißigerjahren / Europa 2014 gegenüber Russland).

NICHT GUT ist, wenn man einen Krieg, den man nicht gewinnen kann, mit immer tödlicheren Mitteln weiterführt (vor allem USA in Vietnam / auch: Sowjetunion in Afghanistan).

NICHT GUT ist, wenn trotz weltweit hochgerüsteter Armeen niemand den Tutsi (und oppositionellen Hutu) in Ruanda zu Hilfe kommt.

NICHT GUT ist, wenn man Syriens Präsident Assad ungestört seine eigene Bevölkerung abschlachten lässt.

NICHT GUT ist, wenn man geheimdienstliche Abhöraktionen zum Zweck des Schutzes der Bevölkerung zu weit treibt.

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BÖSE ist, wenn Hitler Judenreinheit durchsetzt und einen Krieg vom Zaun bricht, der Ariern mehr Lebensraum auf Kosten anderer Ethnien verschaffen soll.

BÖSE ist, wenn Stalin im Namen der Sowjetunion Millionen von Menschen ermorden lässt, weil sie „im Weg“ sind.

BÖSE ist, wenn man aufgrund einer religiösen Ideologie die Bevölkerung eines ganzen Landes als Geisel nimmt und sie systematisch zurück in die Steinzeit befördert (Taliban, Afghanistan).

BÖSE ist, wenn man aufgrund persönlicher Machtbestrebungen eine ganze Weltregion destabilisiert, 3 Millionen Oppositionelle aus dem Land treibt, foltert, mordet, Kriege anzettelt, mit Giftgas gegen unliebsame Minderheiten vorgeht und schlussendlich etwa 1 Million Menschen getötet hat (Saddam Hussein, Irak).

BÖSE ist es, wenn man eine unterdrückte Minderheit zum Aufstand animiert und dann trotz sämtlicher Möglichkeiten nichts unternimmt, wenn sie massakriert wird (aufgemuntert haben die USA, massakriert wurden die Shiiten im Südirak 1991, 2. Golfkrieg).

BÖSE ist, wenn die UNO aus bürokratischen Gründen kein Mandat zur Intervention im Kosovo erteilt.

BÖSE ist, wenn durchgeknallte Islamisten mit Passagierflugzeugen zwei vollbesetzte Bürohochhäuser in New York pulverisieren.

BÖSE ist, wenn die UNO aus bürokratischen Gründen kein Mandat zum Einmarsch im Irak erteilt.

BÖSE ist, wenn Deutschland sich unter zum Kotzen widerwärtigem moralischen Getue nicht dafür verantwortlich fühlt, den eigenhändig aufgerüsteten Mörder Saddam Hussein vom Thron zu stoßen.

BÖSE ist, wenn man als Regierungschef eines Staates Bürgerrechte aushebelt, freie Medien abschafft, Oppositionelle weltweit ermorden lässt und unter dummdreisten Lügen Landnahmen auf den Territorien anderer Staaten durchführt (Wladmir Putin & his Kreml-Combo).

BÖSE ist, wenn Scharfschützen auf Zivilisten angesetzt werden, um Verwirrung zu stiften und eigene Vorteile in der Gesamtinszenierung zu sichern (Kiew, Ukraine, vermutlich Kreml).

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IRRE ist, wenn man Gut und Böse umdreht und das wirklich anfängt zu glauben.